Wie beurteilt man Wein am Gaumen?

Viele denken, dass die Aromatik des Weins das Wichtigste ist. Das ist aber nicht ganz richtig: Der Profi bewertet einen Wein vor allem am Gaumen: Wie das ganz zuverlässig klappt, erfahren Sie im Beitrag.

Die Zungenspitze für Süsses, die Ränder für Säure sowie Salz und der hintere Bereich für die Bitterkeit zuständig. Bis heute hält sich diese falsche Annahme vielerorts. Doch aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass die Geschmacksrezeptoren auf der Zunge gleichmässig verteilt sind. Alle Geschmacksempfindungen werden durch dieselben Zellen in den Geschmacksknospen wahrgenommen, wobei unterschiedliche Botenstoffe die entsprechenden Signale an das Gehirn weiterleiten. Daher ist es ratsam, die verschiedenen Geschmacksnoten eines Weins erst nach dem Ausspucken zu bewerten, um eine genauere Wahrnehmung zu gewährleisten.

Süsse im Wein: Was bedeutet Restzucker?

Die Süsse eines Weins wird hauptsächlich durch den Restzucker bestimmt, also den unvergorenen Zucker, der nach der Gärung im Wein verbleibt. Ein trockener Wein enthält weniger als 4 Gramm Restzucker pro Liter. Bei einem Gehalt zwischen 5 und 10 Gramm spricht man von «fast trocken». Höhere Werte kennzeichnen «halbtrockene» oder «süsse» Weine.

Dank Alkohol und Glycerin wirkt jeder Wein auf dem Gaumen anfänglich mehr oder weniger süss. Deswegen lautet die Empfehlung, die Süsse wie auch alle anderen Eindrücke am Gaumen erst nach dem Ausspucken zu bewerten.

So erkennst du Restzucker: Ein klebriger Eindruck im Mund nach dem Ausspucken oder Herunterschlucken deutet auf Restzucker hin.

Trainingsbeispiele: Probiere einen halbtrockenen Mosel-Riesling oder einen Sauternes AOC, um deine Fähigkeit zur Erkennung von Restzucker zu schärfen.

Säure im Wein: Warum ist Speichelfluss wichtig?

Im Gegensatz zu flüchtigen Säuren sind Säuren geruchslos. Sie lassen sich aber einfach am Gaumen feststellen. Nach dem Ausspucken bzw. Herunterschlucken versucht nämlich der Speichel, den ursprünglichen Säuregehalt im Gaumen wiederherzustellen. Je schneller, je mehr Speichel fliesst, desto höher ist die Säure im Wein.

Alle Weine enthalten hauptsächlich Weinsäure sowie Apfelsäure oder Milchsäure, je nachdem, ob der biologische Säureabbau stattgefunden hat. Weissweine enthalten in der Regel mehr Säuren als Rosé oder Rotweine. Bei Süsswein ist die Säure oft vom Restzucker überdeckt. Dadurch tritt der wässernde Effekt meist erst mit Verspätung auf.

So erkennst du Säure: Nach dem Ausspucken fliesst verstärkt Speichel und der Mund fühlt sich wässrig an.

Trainingsbeispiele: Ein trockener Riesling QbA aus dem Rheingau oder ein Grüner Veltliner aus Österreich bieten sich an, um das Säureempfinden zu trainieren.

Tannin im Wein: Wie beeinflusst es das Mundgefühl?

Gerbstoffe finden Sie praktisch nur im Rotwein, denn die Tannine werden bei der Maischegärung aus der Beerenhaut extrahiert. Weisswein, der ohne Beerenhäute gärt, ist damit weitestgehend tanninfrei. Gerbstoffe reagieren mit Eiweissen im Speichel. Dadurch wird dein Mund trocken. Der Gaumen fühlt sich rau und «pelzig» an.

Das Tannin zu beurteilen ist anspruchsvoll. Ein unreifer Rotwein mit wenigen dafür rauen Tanninen wirkt nämlich oft gerbstoffhaltiger als ein tanninreicher australischer Shiraz, dessen Gerbstoffe vollreif und durch den Fassausbau geschliffen wirken.

So erkennst du Tannin: Der Mund zieht sich zusammen, und der Gaumen fühlt sich trocken und pelzig an.

Trainingsbeispiel: Barolo oder Barbaresco aus dem Piemont sind ideal, um die Wahrnehmung von Tannin zu schärfen.

Alkohol im Wein: Was ist Chemesthesis?

Der Alkohol im Wein wird über den Tastsinn wahrgenommen: Ein hoher Alkohol (ab etwa 14 % vol.) reizt die Schmerzrezeptoren und hinterlässt einen warmen, heissen oder gar brennenden Eindruck.

Dieses Mundgefühl heisst im Fachjargon «Chemesthesis» und tritt auch auf, wenn man etwas Scharfes isst. Oft wird Alkohol auf dem Gaumen mit Säure verwechselt, weil das Brennen dem «Kräuseln» der Säure ähnelt. Wenn Sie aber konsequent auf Speichelfluss oder Brennen achten, passiert Ihnen das Verwechseln nicht.

So erkennst du Alkohol: Nach dem Spucken bleibt ein warmes oder brennendes Gefühl im Mund.

Trainingsbeispiele: Ein Amarone della Valpolicella oder ein Zinfandel aus dem Napa Valley, Portwein oder Vodka bieten sich an, um den Alkoholgehalt im Wein besser zu erkennen.

Häufige Fragen

Wie beurteilt man Wein richtig?

Das Wichtigste beim Beurteilen von Wein ist, objektiv zu bleiben. Persönliche Vorlieben haben beim Bewerten der Qualität keinen Platz. Zunächst gilt es, strukturiert vorzugehen und die Eindrücke, die uns der Wein in Auge, Nase und Gaumen vermittelt, festzuhalten. Hierbei kategorisieren wir verschiedene Eigenschaften des Weines, wie z.B. Süsse, Säure, Tannin, Alkohol etc. und beschreiben ausserdem sein Aromenspektrum. Dies erfordert einiges an Übung und wir müssen unsere Sinne entsprechend kalibrieren. Am Ende bewerten wir aus unseren Eindrücken heraus Intensität, Komplexität, Balance und Länge des Weines und leiten aus diesen vier Kriterien unser Gesamturteil ab. Besuchen Sie einen Kurs bei der Académie du Vin und lernen Sie, dieses Vorgehen wie ein Profi zu beherrschen.

Warum sollte man Wein erst nach dem Ausspucken bewerten?

Die Länge des Abgangs ist ein entscheidendes Kriterium für die Findung des Qualitätsurteils. Erst nach dem Ausspucken oder Herunterschlucken und der zeitlichen Bemessung der aromatischen Länge können wir zu einem finalen Urteil kommen.

Was ist der ‹Gaumen› bei Wein?

Als ‹Gaumen› bezeichnen wir beim Wein alle Wahrnehmungen, die sich in unserem Mund abspielen. Zu den am Gaumen gesammelten Eindrücken zählen Süsse, Säure, Alkohol, Tannin, Körper und Abgang des Weines. Auch die aromatische Intensität und Vielfalt wird am Gaumen nochmals auf den Prüfstand gestellt: Zwar empfinden wir Aromen ausschliesslich mit der Nase, aber über den Rachen ist die Nase auch mit dem Gaumen verbunden und dies kann grossen Einfluss auf unsere Bewertung der Intensität eines Weines haben.

Wie beschreibt man einen guten Wein?

Einen Wein beschreibt man am besten genauso strukturiert, wie man ihn degustiert und beurteilt: Eine kurze Anmerkung zu Farbtiefe und Farbton, eine Zusammenfassung der wahrgenommenen Aromen, das Verhalten des Weines am Gaumen, wobei man die am stärksten ausgeprägten Komponenten besonders hervorheben sollte und abschliessend nennen Sie Ihrem Gegenüber das finale Qualitätsurteil. Nun begründen Sie noch Ihr Urteil anhand der vier Kriterien Intensität, Komplexität, Balance und Abgang.

Ein Beispiel:
«Der Wein hat ein klares, mittel kräftiges Zitronengelb. Er zeigt intensive Aromen von Blüten, Zitrusfrüchten, Pfirsich und Melone, unterlegt von buttrigen Noten und etwas Vanille. Am Gaumen wirkt er trocken und mit wärmendem Alkohol, aber auch balancierender Säure, die einen allzu vollen Körper verhindert. Der Abgang ist lang. Dies ist ein hervorragender Wein mit ausgeprägten und vielseitigen Aromen, der sich durch gute Balance am Gaumen und tolle Länge auszeichnet.»

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