Welche Weine kann man lagern?

«Wein wird mit dem Alter besser» – stimmt das wirklich? Nicht jeder Wein hat das Zeug dazu, mit zunehmendem Alter mehr Trinkfreude zu bereiten. Tatsächlich sind nur ein kleiner Teil der weltweit produzierten Weine alterungsfähig und verbessern sich mit der Zeit. Wir erklären, was beim Lagern von Wein passiert und welche Weine sich überhaupt zur Lagerung eignen.

Jährlich werden weltweit rund 37 Milliarden 75-cl-Flaschen Wein produziert. Unser Weindurst ist also mehr als gedeckt. In der Schweiz liegt der Konsum bei etwa 45 Flaschen pro Kopf – ein überdurchschnittlicher Wert im internationalen Vergleich. Wein ist hierzulande beliebt. Durch die starke mediale Präsenz und die hohe Dichte an Fachhändlern kann der Eindruck erweckt werden, dass Wein ein Luxusgut sei. Doch Wein kann auch einfach sein – und das ist keineswegs schlecht. Denn die meisten Weine sind genau das: für den direkten Genuss gemacht.

Einfache Weine: Warum die meisten Weine nicht lagerfähig sind

Rund 75 Prozent aller weltweit produzierten Weine sind von einfacher Qualität und werden meist innerhalb weniger Tage nach dem Kauf getrunken. Das ist auch gut so, denn einfache Weine sind nicht für lange Lagerung ausgelegt. Auch wenn Weinliebhaberinnen und Weinliebhaber bei dieser Masse vielleicht die Nase rümpfen: damit wird lediglich dem realen Bedarf entsprochen. Für Produzenten bedeutet das: geringe Kosten, grosse Mengen. Ertragsstarke Rebsorten, nährstoffreiche Böden und ein hoher Mechanisierungsgrad im Weinberg und Keller sind unverzichtbar, um die Ratio von Arbeitsaufwand zur erzeugten Weinmenge so gering wie möglich zu halten. Individualität und Komplexität spielen dabei keine Rolle. 

Vielmehr wird der Stil internationaler Massenweine exakt auf Konsumenten und Märkte abgestimmt. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass bei einem global vertretenen Einheitslabel die kontinentalen Chargen variieren. So wird zum Beispiel der (fiktive) «Happy Kangaroo Chardonnay» aus Australien in Europa nur dezente Holznoten aufweisen. Die Charge für Asien erhält hingegen drei zusätzliche Baggerschaufeln an Holzchips pro Tank, denn starke Eichentöne im Wein sind dort gerade in Mode.

Romantisch klingt das nicht. Doch moderne Technik und strenge Hygiene sorgen dafür, dass einfache Weine heute sauber, balanciert und angenehm trinkbar sind – wenn auch meist seicht im Aromaprofil und kurz im Abgang. Ob rot oder weiss: Diese Weine werden trinkfertig abgefüllt und haben kein Potenzial für eine längere Lagerung.

Aromatische Weine: Aromaprofil statt Lagerpotenzial

Rund 20 Prozent aller weltweit produzierten Weine fallen in diese Kategorie, die qualitativ über den einfachen Weinen einzuordnen ist. Sie zeichnen sich durch ein intensives, klares, individuelles und damit wiedererkennbares Aromaprofil aus. 

Ob ein Winzer die bukettreichen Noten eines Sauvignon Blanc herausarbeitet oder einen weniger aromatischen Chardonnay zum Sprachrohr seiner Weinbaustilistik erklärt: Um deutliche, klar wiedererkennbare Aromen in einen Wein zu bringen, muss ein gewisser Mehraufwand betrieben werden. Erträge müssen reduziert, im Keller stärker eingegriffen und Prozesse individuell gesteuert werden. So werden geringere Mengen mit deutlich höherem Aufwand erzeugt – mit entsprechend höheren Preisen. In der Schweiz bewegen sie sich meist zwischen 10 und 30 Franken pro Flasche.

Aromatische Weine sind perfekt für alle, die tiefer in die Weinwelt eintauchen möchten: zugänglich, harmonisch und mit klar erkennbaren Aromen. Ihr Lagerpotenzial ist jedoch begrenzt. Weine die mit ihren sorteneigenen Aromen (Primäraromen) glänzen, sollten – mit wenig Ausnahmen – so jung wie möglich getrunken werden, da sie rasch an Frische und Intensität verlieren. Fassgereifte Varianten halten zwar etwas länger, gewinnen aber nicht an Qualität, da mit der Zeit ihre Balance ins Wanken gerät.

Komplexe Weine: Wo Weinlagerung wirklich Sinn macht

Nur rund fünf Prozent aller weltweit produzierten Weine fallen in die Kategorie «komplexe Weine» – und doch prägen sie die Wahrnehmung vieler Weinliebhaberinnen und Weinliebhaber. Weinzeitschriften, Fachhändler und Gespräche unter Gleichgesinnten vermitteln schnell den Eindruck, dass komplexe Weine  das Parkett dominieren. 

Aber was macht einen Wein komplex?  Zunächst ist eine Rebsorte mit grossem Qualitätspotenzial gefragt, die unter den richtigen Voraussetzungen ihren starken, aromatischen Charakter entwickelt. Um solche Individualität und Konzentration an Inhaltsstoffen herauszuarbeiten, muss der Winzer mit sehr geringen Erträgen arbeiten. Idealerweise kann er dabei auf alte Reben zurückgreifen, die in erstklassiger Lage wachsen. Karge Böden drosseln dabei die Ernte auf natürlichem Weg, zwingen die Rebe zu tiefer Verwurzelung und können den Wein mit ihrer Mineralität ergänzen. Rebsorte und Klima sind so abgestimmt, dass die heranreifenden Trauben möglichst lange am Stock verbleiben, bis sie die ideale Reife erreicht haben.

Ein hohes Mass an Handarbeit versteht sich von selbst – insbesondere der selektiven Handlese kommt sehr grosse Bedeutung bei, um am Ende nur beste Trauben zu verwenden. Im Keller setzt sich dieses Mass an Akribie fort – unabhängig davon, in welche Richtung der Kellermeister seinen Wein von hier ab weiterentwickeln will, wird noch viel Arbeit anfallen, bis der Wein dann in der Flasche ist. Nach der Abfüllung beginnt für viele komplexe Weine erst die eigentliche Reise: Die Reifung.

Was passiert bei der Weinreifung?

Wie so oft beim Thema Wein gibt es auch bei der Reifung keine Pauschalregel. Nur rund fünf Prozent aller Weine – die komplexen – verbessern sich bei korrekter Lagerung im Laufe der Zeit. Doch die Prozesse, die während der Lagerung in der Flasche ablaufen, sind bei allen Weinen gleich.

Vereinfacht gesagt reagieren die im Wein enthaltenen Phenole – also Aromen, Farbe und Tannine – miteinander. Während sie zu Beginn eher isoliert wirken, bilden sie im Laufe der Zeit langkettige Verbindungen (Polymere). Mit zunehmender Polymerisierung verändert sich dann die sensorische Wahrnehmung des Weins: Lebhafte Fruchtaromen werden dezenter, Tannine werden weicher und die Farbe wird heller. Auch Säure und Restsüsse sind entscheidend: Sie sind zwar nicht direkt an diesem Prozess beteiligt, stabilisieren den Wein aber und unterstützen so den Reifeprozess.

Was macht einen Wein alterungsfähig?

Grundvoraussetzung für ein Reifepotenzial ist ein ausreichender Gehalt an Phenolen und deren Balance. Das bedeutet nicht, dass alle Inhaltsstoffe in gleicher Menge vertreten sein müssen, es muss jedoch eine alterungsfähige Struktur vorhanden sein. Ein grosser Riesling kann etwa dank konzentrierter Aromen und hoher Säure problemlos 25 Jahre lang altern. Manch einem grossen Rotwein mag diese hohe Säure zwar fehlen, jedoch enthält er viel Tannin… 

Entscheidend ist die Qualität der Trauben. Sie müssen vollgepackt sein mit allen notwendigen Zutaten, um einen alterungsfähigen Wein zu ergeben. Dies kann nur durch sorgfältige Arbeit im Weinberg und geringe Erträge gewährleistet werden. Im Keller entscheidet sich, wie stark die Inhaltsstoffe extrahiert werden sollen. 

Beim Rotwein ist zum Beispiel die Länge der Maischestandzeit bzw. die Intensität, mit der die Maische durchmischt wird, ein bedeutender Faktor. Für viele langlebige Weine ist zudem die Fassreife unerlässlich. Dadurch nehmen die Weine neben Holztannin nicht nur zusätzliche Aromen auf, sondern die Fassreife sorgt durch minimalen Sauerstoffeintrag auch für eine komplexere Struktur für die spätere Flaschenreife. Bei einfachen Weinen fehlen diese Voraussetzungen: Sie werden aus hohen Erträgen gekeltert und bringen von Natur aus bereits zu wenig Potenzial mit. Darüber hinaus sind in der entsprechenden Preisklasse auch keine aufwendigen Kellerarbeiten oder gar eine Holzfasslagerung möglich. Bei fortschreitender Polymerisierung verlieren sie sehr schnell ihre Struktur – es fehlt schlichtweg an den Grundzutaten.

Darum sind aromatische Weine selten lagerfähig

Aromatische Weine bringen zwar mehr Dichte und Fülle mit sich, jedoch sind auch sie nicht für eine lange Reifung ausgelegt.  Bei Weinen, die sich ausschliesslich über ihre intensiven Primäraromen definieren, fehlt die ausgleichende, strukturelle Komponente, um einen positiven Alterungsprozess zu ermöglichen. Die Aromen bauen dann schon nach wenigen Jahren ab. Die Frische schwindet und es entstehen oft unschöne Noten.  Riesling kann hier eine Ausnahme sein, doch alterungsfähige Exemplare zählen schon eher zu den komplexen Weinen.

Selbst fassgereifte, aromatische Weine verfügen in der Regel nicht über genügend phenolische Dichte. Sie werden daher im Keller mit entsprechenden Arbeitsweisen auf Geschmeidigkeit getrimmt und sind direkt nach der Abfüllung trinkreif. Die fortschreitende Polymerisierung wird sie mit zunehmendem Alter nur noch von ihrem bereits erreichten Zenit entfernen. Nach wenigen Jahren wirken die Aromen müde und ausgezehrt und meistens rückt auch die Säure, die sich im andauernden Reifeprozess nicht verändert, unangenehm in den Vordergrund.

Der Reifeprozess komplexer Weine

Komplexe Weine starten mit intensiven, aber oft unausgewogenen Ausprägungen. Junge, schwere Rotweine zeigen etwa eine fast violette Farbe, dunkle Fruchtnoten und kräftige Tannine, die am Gaumen pelzig wirken. In diesem jugendlichen Stadium sind die Phenole noch kaum Verbindungen miteinander eingegangen, der Wein wirkt ungeschliffen und das Trinkvergnügen ist eingeschränkt.Wer hier zu früh eine teure Flasche öffnet, läuft Gefahr, enttäuscht zu sein. Nicht selten wird das Abenteuer an dieser Stelle mit den Worten «Der ist sein Geld nicht wert» abgebrochen. Schade, denn es hätte nur ein wenig Geduld gebraucht.

Mit fortschreitender Reife werden die Tannine weicher und die Aromen komplexer. Die frische Primärfrucht nimmt ab und wird gleichzeitig durch Reifenoten (Tertiäraromen) ergänzt. Auch Sekundäraromen – etwa Holztöne – integrieren sich. Der Wein wird dadurch immer vielschichtiger und harmonischer.

Als voll gereift gilt ein Wein, wenn er seine bestmögliche Balance erreicht hat. Also wenn eine ansprechende, komplexe Aromenstruktur nebst eingebundenen, weichen Tanninen einen angenehmen Trinkfluss ergeben. Dieser Zeitpunkt ist jedoch subjektiv – manche bevorzugen noch lebendige Frucht mit leichtem Tanninbiss, andere die reifen Tertiäraromen und einen weichen Gaumen. Um seine persönliche Vorliebe kennenzulernen, empfiehlt es sich, mehrere Flaschen eines Weines einzulagern, in gewissen Abständen ein Exemplar zu öffnen und so den perfekten Reifezeitpunkt zu ermitteln.

Am Ende überschreiten dann auch komplexe Weine ihren Höhepunkt und erreichen genau wie einfache und aromatische Weine ein Stadium der Müdigkeit. Bei manchen Weinen kann dies zehn Jahre dauern, bei anderen 50 Jahre.

Häufig gestellte Fragen

Welche Weine eignen sich zur langfristigen Lagerung?

Komplexe Weine mit ausreichender Menge und der richtigen Balance an Inhaltsstoffen wie Aromen, Tannin, Säure etc. Ihnen liegen selektiv geerntete Trauben mit geringen Erträgen sowie ein hoher Aufwand im Keller zugrunde, daher sind sie teuer. In jungen Jahren zeichnen sie sich durch eine Disbalance ihrer intensiven Komponenten aus, und es dauert oft Jahre, bis alle Inhaltsstoffe harmonisch zusammenwirken.

Wie sollte Wein idealerweise gelagert werden?

Dunkel, bei einer konstanten Temperatur von 10-15°C, 65-75% Luftfeuchte und – sofern mit Naturkork verschlossen – liegend. Unter diesen Bedingungen kann sich der Reifeprozess ungestört und nachhaltig vollziehen.

Welche Rolle spielt der Korken bei der Weinlagerung?

Korken beeinflussen die Weinlagerung massgeblich, da sie den Wein vor Oxidation schützen sollen. Flaschen mit Naturkorken sollten deshalb immer liegend gelagert werden, damit der Korken feucht bleibt, nicht austrocknet und schrumpft. Ein trockener Korken kann porös werden und Luft in die Flasche lassen, was zur Oxidation des Weins führt und dessen Qualität beeinträchtigt. Auch die Luftfeuchte des Weinkellers spielt daher eine sehr wichtige Rolle bei der Lagerung.

Wie lange kann man Rotwein und Weisswein aufbewahren?

Es gibt für keine Weinkategorie eine pauschal gültige optimale Reifedauer, da Wein ein sehr individuelles Produkt ist. Voraussetzung ist, dass es sich um einen komplexen Wein mit ausreichender, entwicklungsfähiger Struktur handelt. Wie lange der einzelne Wein dann lagern sollte, hängt massgeblich von der Rebsorte und den Herstellungsmethoden ab. Mancher komplexe Wein erreicht seinen Zenit nach 10 Jahren, andere erst nach 50 Jahren.

Woran erkennt man, ob ein gelagerter Wein noch trinkbar ist?

Von aussen betrachtet hilft nur fachliche Expertise: Sofern die Lagerbedingungen korrekt eingehalten wurden, kann eine geschulte Fachperson aus den Etiketteninformationen Region/Sorte/Jahrgang/Erzeuger eine Einschätzung zur Trinkreife abgeben. Allerdings kommt hier noch der individuelle Geschmack als subjektiver Faktor hinzu: Was für den einen zu alt erscheint, mag für den anderen ein Hochgenuss sein. Man könnte also sagen: Genaues weiss man erst nach dem Öffnen der Flasche – und ein alter Wein ist noch trinkbar, sofern er der trinkenden Person Freude bereitet.

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