Komplexe Weine starten mit intensiven, aber oft unausgewogenen Ausprägungen. Junge, schwere Rotweine zeigen etwa eine fast violette Farbe, dunkle Fruchtnoten und kräftige Tannine, die am Gaumen pelzig wirken. In diesem jugendlichen Stadium sind die Phenole noch kaum Verbindungen miteinander eingegangen, der Wein wirkt ungeschliffen und das Trinkvergnügen ist eingeschränkt.Wer hier zu früh eine teure Flasche öffnet, läuft Gefahr, enttäuscht zu sein. Nicht selten wird das Abenteuer an dieser Stelle mit den Worten «Der ist sein Geld nicht wert» abgebrochen. Schade, denn es hätte nur ein wenig Geduld gebraucht.
Mit fortschreitender Reife werden die Tannine weicher und die Aromen komplexer. Die frische Primärfrucht nimmt ab und wird gleichzeitig durch Reifenoten (Tertiäraromen) ergänzt. Auch Sekundäraromen – etwa Holztöne – integrieren sich. Der Wein wird dadurch immer vielschichtiger und harmonischer.
Als voll gereift gilt ein Wein, wenn er seine bestmögliche Balance erreicht hat. Also wenn eine ansprechende, komplexe Aromenstruktur nebst eingebundenen, weichen Tanninen einen angenehmen Trinkfluss ergeben. Dieser Zeitpunkt ist jedoch subjektiv – manche bevorzugen noch lebendige Frucht mit leichtem Tanninbiss, andere die reifen Tertiäraromen und einen weichen Gaumen. Um seine persönliche Vorliebe kennenzulernen, empfiehlt es sich, mehrere Flaschen eines Weines einzulagern, in gewissen Abständen ein Exemplar zu öffnen und so den perfekten Reifezeitpunkt zu ermitteln.
Am Ende überschreiten dann auch komplexe Weine ihren Höhepunkt und erreichen genau wie einfache und aromatische Weine ein Stadium der Müdigkeit. Bei manchen Weinen kann dies zehn Jahre dauern, bei anderen 50 Jahre.